(Autorin: Anne Sengpiel. Dieses Interview erschien zuerst in "Erfolgreich führen und motivieren"; Sonderausgabe "Female Leadership" (erschienen am 17.3.2025 im Verlag Personalwissen; Verlag für die Deutsche Wirtschaft))
Wie sieht es inzwischen mit Frauen auf der Führungsebene aus? Wie hoch ist der Prozentsatz von Frauen, die Sie vermitteln?
Andreas Rastner: In einer Welt, die zunehmend von Diversität und Inklusion geprägt wird, bleibt die Frage nach der Frauenquote und der weiblichen Repräsentation in Führungspositionen weiterhin ein wichtiges Thema. Als Principal bei der Personalberatung HAPEKO erlebe ich das immer wieder. Frauen sind trotz aller Quoten immer noch stark unterrepräsentiert auf der Führungsebene. Und das ist sehr bedauerlich. Trotz aller Fortschritte in der Diskussion über Gleichberechtigung gibt es immer noch Hürden, die Frauen daran hindern, den Weg an die Spitze zu finden. Im Bewerbungsprozess stehen häufig fünf bis sechs Männer einer Frau gegenüber. Es ist wichtig, dass wir diese Zahlen in den kommenden Jahren verändern.
Was unterscheidet Frauen im Bewerbungsprozess von Männern?
Interessanterweise fällt Frauen in der Bewerbungsphase auf, dass sie sich oft nur dann bewerben, wenn sie sich sicher sind, die Anforderungen vollständig zu erfüllen. Männer hingegen sind eher bereit, eine Position in Betracht zu ziehen, auch wenn sie nicht alle Anforderungen exakt erfüllen. Hier zeigt sich bereits ein erster Unterschied: Frauen tendieren dazu, sehr selbstkritisch zu sein und sich nur dann zu bewerben, wenn sie sich zu 100 % qualifiziert fühlen. Das ist ein Problem, das Frauen im Bewerbungsprozess zurückhält.
Was können Frauen im Bewerbungsprozess anders machen?
Es gibt viele Dinge, die Frauen tun können, um ihren Weg in Führungspositionen zu ebnen. Zunächst gilt es, das eigene Selbstbewusstsein zu stärken. Frauen sind in der Regel hervorragend qualifiziert, aber sie müssen sich ihrer Stärken bewusster werden. Ein bisschen ‚Klappern‘ gehört zum Handwerk. Frauen müssen lernen, ihre Erfolge sichtbar zu machen und auch in beruflichen Netzwerken präsent zu sein. Denn, erfolgreiche Führungskräfte – seien sie weiblich oder männlich – verfügen häufig über starke Netzwerke, die ihnen Türen öffnen.
Frauen haben häufig Vorbehalte, berufliche Netzwerke strategisch zu nutzen. Während sie meist ihre privaten Netzwerke zur Kinderbetreuung und der Aufrechterhaltung von Freundeskreisen perfekt pflegen, vernachlässigen sie berufliche Kontakte. Das fängt schon mit den Klassenkameradinnen und -kameraden des Abi-Jahrgangs an. Für Frauen hat das Vitamin B, das Männer ganz selbstverständlich nutzen, oft etwas Anrüchiges. Das sollten sie ablegen: Der Empfehlung eines Kollegen oder dem Hinweis einer Bekannten auf eine interessante Stelle sollten sie nachgehen. Es ist immer eine Chance.
Ich empfehle Frauen daher, sich aktiv an Netzwerken wie zum Beispiel „Frauen in die Aufsichtsräte (FidAR)“ oder beruflichen Netzwerken zu engagieren, um in Kontakt mit anderen Führungspersönlichkeiten zu treten.
Was sollten Frauen noch anders machen, um leichter in Führungspositionen zu kommen?
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass Frauen ihre Karrieren strategisch planen sollten. Viele Frauen erleben eine Zäsur, wenn sie eine Familie gründen, was oft mit dem Verzicht auf berufliche Chancen verbunden ist. Ich möchte aus meiner Sicht als Personalberater Frauen ermutigen, auch in Zeiten von Familie und Verantwortung für Angehörige nicht aus den Augen zu verlieren, welche beruflichen Möglichkeiten sie noch haben.
Frauen sollten lernen, diese Phasen nicht als Hindernis oder Leerlauf zu sehen, sondern als Chance, beruflich neue Wege zu gehen. Sprechen Sie mit Ihrem Arbeitgeber, bewerben Sie sich auf Positionen, in denen Ihnen viel Flexibilität geboten wird, beispielsweise mobiles Arbeiten im Homeoffice. Das geht auch in Führungspositionen.
Frauen übernehmen immer noch einen Großteil der Care-Arbeit. Warum ist das so und können Frauen das ändern?
Augen auf bei der Partnerwahl! In vielen Gesprächen habe ich von Frauen gehört, dass die Unterstützung durch den Partner die eigene Karriere am nachhaltigsten unterstützt. Frauen, die erfolgreich sind, haben mir das bestätigt. Sie haben vor der Familienphase mit ihrem Partner klar vereinbart, wie sie die Arbeits- und Care-Zeiten untereinander aufteilen.
Geschieht das, sind Frauen jedoch häufig mit Vorurteilen und Stereotypen konfrontiert. Oft werden Frauen in Führungsetagen durch veraltete Rollenbilder als weniger durchsetzungsfähig oder zu „weich“ wahrgenommen. Ich sage den Frauen: Lassen Sie sich davon nicht entmutigen. Die Fähigkeit, mit solchen Vorurteilen souverän umzugehen, ist eine der wichtigsten Eigenschaften erfolgreicher Führungskräfte. Lernen Sie sachlich und selbstbewusst auf solche Herausforderungen zu reagieren. Kein Mann und keine Frau sollte sich dafür entschuldigen müssen, beruflich erfolgreich zu sein.
Ein weiterer Tipp: Lernen Sie zu delegieren – auch im Privaten. Wie Sie sagen, tragen Frauen tragen oft mehr Verantwortung im privaten Bereich und übernehmen einen höheren „Mental Load“. Für eine erfolgreiche Karriere in der Führungsebene ist es wichtig, im beruflichen wie privaten Kontext Aufgaben abzugeben. Die Fähigkeit, Aufgaben effektiv zu delegieren, ist entscheidend, um nicht auszubrennen. Finden Sie im beruflichen und privaten Umfeld ein Gleichgewicht, das langfristig Ihre eigene Leistungsfähigkeit unterstützt.
Das Gender-Pay-Gap ist nach wie vor da: Frauen bekommen für dieselbe Arbeit rund 18 Prozent weniger Gehalt. Woran liegt das?
Frauen können lernen, besser um ihr Gehalt zu verhandeln. Das hängt auch mit dem Selbstbewusstsein zusammen, das wir anfangs besprochen haben. Wenn Frauen meinen, noch ein und noch ein Zertifikat erwerben zu müssen, bevor sie sich auf eine attraktive Stelle bewerben, verbauen sie sich selbst Karriereschritte. Das „Pareto-Prinzip“ (80/20) ist hier ein wichtiger Hinweis: Wer sich auf die wichtigsten 20 % der Aufgaben konzentriert, kann die größten Ergebnisse erzielen.
Außerdem sollten sie sich informieren, wie hoch das Gehaltsniveau für entsprechende Positionen ist. Da reicht oft eine Internetrecherche oder eben das Gespräch mit Menschen aus dem beruflichen Netzwerk. Wenn Frauen beginnen, auch berufliche Netzwerke zu pflegen und als genauso wertvoll zu betrachten wie private Kontakte, können sie aus diesen Netzwerken Unterstützung im beruflichen Alltag finden und bei der Entwicklung der eigenen Karriere.
Frauen sind in der Baubranche und technischen Berufen, in denen hohe Gehälter bezahlt werden, oft unterrepräsentiert. Studieren Frauen die falschen Fächer?
Frauen entscheiden sich selten für ein Studium der MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik). Das ist ein Nachteil; denn Frauen, die sich für technische oder naturwissenschaftliche Studiengänge entscheiden, können in vielen Industrien eine starke Rolle spielen.
Wechseln wir die Perspektive: Wie sieht es auf der Seite der Unternehmen aus? Suchen diese nach wie vor Frauen für Führungspositionen?
Die Bereitschaft der Unternehmen, Frauen für Führungspositionen zu gewinnen, ist nach wie vor hoch. Im Konzernbereich sind viele Positionen inzwischen gesättigt, aber im Mittelstand, der ja 98 Prozent unserer Wirtschaft ausmacht, gibt es nach wie vor großen Bedarf.
Die Bereitschaft, Frauen einzustellen, ist bei gleicher Eignung sehr hoch. Die Besetzung der Position erfordert jedoch zumeist von beiden Seiten Flexibilität: Unternehmen sollten bereit sein, flexible Arbeitszeitmodelle anzubieten und Frauen sollten sich überlegen, ob sie ihr gewohntes räumlichen Umfeld für den nächsten Karriereschritt zwei bis drei Tage pro Woche verlassen können.
Grundsätzlich erlebe ich bei der Besetzung von Führungspositionen, dass es immer weniger darum geht, unbedingt eine Frau für die Stelle zu finden, sondern die richtige Person. Unternehmen fragen zunehmend mehr nach den Fähigkeiten und der Bereitschaft zur Veränderung. Es geht nicht mehr nur darum, wer geeignet ist, sondern darum, wer wirklich bereit ist, die Führung zu übernehmen: Der Job muss gelingen!
Hat die Frauenquote an Bedeutung verloren?
Ich glaube, ja. Der Fokus liegt heute eher auf der tatsächlichen Eignung und der Motivation der Kandidaten. Aber eines ist klar: Der Bedarf an weiblichen Führungskräften ist groß – und das Potenzial von Frauen in Führungspositionen wird zunehmend erkannt.
Die nächste Generation von weiblichen Führungskräften ist bereits auf dem Weg. Und ich bin zuversichtlich, dass sie die Führungsebene von morgen prägen wird. Frauen, die an ihre Fähigkeiten glauben, sich sichtbar machen, Netzwerke aufbauen und strategisch denken, können den Weg in Führungsetagen erfolgreich beschreiten. Unternehmen erkennen immer mehr, wie wichtig Diversität in Führungsetagen ist, und Frauen sind entscheidend, um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern.
Quelle:
Das Interview führte die Autorin Anne Sengpiel.
Dieses Interview erschien zuerst in "Personalwissen: Erfolgreich führen und motivieren"; Sonderausgabe "Female Leadership". Erschienen am 17.3.2025 im Verlag Personalwissen im Verlag für die Deutsche Wirtschaft.