Die neue Mensch-Maschine-Kollaboration in der Personalgewinnung

Wenn die KI zum Kollegen oder sogar zum neuen Vorgesetzten wird

Die künstliche Intelligenz, kurz: KI, ist mehr als ihr derzeit prominentestes Beispiel, ChatGPT. KI-Tools werden immer leistungsfähiger, die möglichen Einsatzgebiete vermehren sich rasant. KI hilft uns beim Autofahren, Texte schreiben und der Erschaffung von Kunstwerken. Auch in der Personalführung, einem der wirkmächtigsten Bereiche menschlicher Interaktion, wird KI Einzug halten. Der Digital-Experte Prof. Dr. Tobias Kollmann nennt dies „Artificial Leadership“. Und ist überzeugt: Diese Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine muss nichts Schlechtes sein, sondern kann für Beschäftigte wie Führungskräfte einen Mehrwert bieten.

„Wir sind auf dem Weg zu einer neuen Mensch-Maschine-Kollaboration.“

Prof. Dr. Tobias Kollmann

Inhaber des Lehrstuhls für Digital Business und Digital Entrepreneurship an der Universität Duisburg-Essen und Leiter der netSTART-Academy, die Aus- und Weiterbildungseinrichtung für die digitale Wirtschaft.

Herr Prof. Dr. Kollmann, die digitale Transformation hat Auswirkungen auf uns alle. Unternehmen, Arbeitgeber, Beschäftigte – alle müssen digital mitspielen können. Wo stehen die deutschen Unternehmen Ihrer Meinung nach in Sachen Digitalisierung?

Prof. Dr. Tobias Kollmann: Ich hatte gehofft, dass die Corona-Pandemie einen nachhaltigen Digitalisierungsschub auslösen würde, da wir gezwungen waren, uns plötzlich mit der digitalen Welt auseinanderzusetzen. Zwar gab es diese Auseinandersetzung kurzfristig, aber wir haben flächendeckend leider keine wirklich dauerhaften Veränderungen in der operativen und strategischen Ausrichtung der Unternehmen für die digitale Zukunft beobachten können. Unsere Digitalisierungsbemühungen sind bisher eher auf klassische Effizienzsteigerung und Kostenreduktion der vorhandenen Geschäftsaktivitäten beschränkt geblieben. Einen echten Digitalisierungsschub im Hinblick auf neue und innovative digitale Geschäftsmodelle und -prozesse haben wir nicht gesehen. Wenn wir aber damit die „Pflicht“ als Hausaufgabe nicht erfüllt haben, dann wird uns auch die Künstliche Intelligenz als „Kür“ schwerfallen, weil diese ohne ein klares Bekenntnis zu innovativen digitalen Technologien nicht funktionieren wird.

Wer ist denn eigentlich für die digitale Transformation, ohne die es ja nicht geht, zuständig – oder sollte es sein?

Kollmann: Grundsätzlich ist jeder im Unternehmen in seinem Bereich für die Digitalisierung verantwortlich, aber natürlich braucht es auch eine Person in der Unternehmensführung, die das Thema übergeordnet verantwortet und die verschiedenen digitalen Aktivitäten im Unternehmen zusammenbringt. Diese Person sollte ein Chief Digital Officer sein, der sowohl über das technische als auch anwendungsbezogene Wissen zur Digitalisierung auf operativer und auch strategischer Ebene verfügt. In Deutschland haben allerdings nur wenige Unternehmen eine solche C-Level-Funktion. Diese ist aber notwendig, um das Thema Digitalisierung wirklich gleichberechtigt im Vorstand oder einer Geschäftsführung mit Weisungsbefugnis und einem eigenen Budget zu verankern und damit Digitalisierung von der Spitze her sichtbar zu leben. Daten als Grundlage der Digitalisierung müssen in die DNA eines Unternehmens eingehen. Wenn dies nicht passiert, dann stehen wir auch bei der Künstlichen Intelligenz auf verlorenem Posten. Denn diese braucht die Daten, sonst kann sie nicht funktionieren, und ein kompetenter Chief Digital Officer kann und muss sich darum kümmern.

Für eine zukunftsgerichtete Strategie brauchen wir Menschen mit den richtigen Kompetenzen?

Kollmann: Absolut, aber nicht nur das! Wir brauchen in Zukunft nicht nur Menschen mit digitalen Kompetenzen, sondern zunehmend auch die Künstliche Intelligenz mit den richtigen Algorithmen, welche auf Basis von quantitativen und qualitativen Daten zusätzliche Erkenntnisse für den Menschen erzeugt. Das bedeutet, wir sprechen beim Menschen über digitale Köpfe mit einem passenden Digital Mindset, den notwendigen Digital Skills und einer wirkungsvollen Digital Execution. Bei der Künstlichen Intelligenz geht es dagegen um Aspekte wie Data Source, Data Analysis und Data Decision. Alles bedingt sich gegenseitig und ist über Daten miteinander verbunden, so dass wir auf dem Weg zu einer neuen Mensch-Maschine-Kollaboration mit spannenden Fragen sind: Wo wird der Mensch mit seiner Kompetenz basierend auf Daten die bessere Entscheidung treffen, und wo wird es die Maschine tun?

"Die digitale Kompetenz einer menschlichen Führungskraft wird im Innovationsgeschäft (noch) die Oberhand behalten.“

Welche Entwicklung für den Einsatz von KI sehen Sie derzeit bzw. voraus?

Kollmann: Es gibt schon viele Untersuchungen, wo eine KI im Unternehmen einsetzbar ist und welche Berufe davon betroffen sind. Unabhängig von diesem operativen Einsatz wird die KI aber auch zu einem strategischen Momentum für die Zukunft der Unternehmensführung. KI ist nicht nur ein Tool zur Unterstützung der Mitarbeiter, sondern wird diese auch an der einen oder anderen Stelle ersetzen. Wir sehen zudem, dass KI-Systeme heute schon als Entscheidungsinstanz eingesetzt werden, welche die Mitarbeiter im Unternehmen steuert. Neben den diesbezüglich ethischen Fragestellungen ist aber in der Praxis schon jetzt zu beobachten, dass die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine immer wichtiger wird. Das bedingt aber auch, dass sich der Mensch aktiv damit auseinandersetzt und neben den allgemeinen digitalen Kompetenzen als Grundwissen auch die Künstliche Intelligenz als digitales Spezialwissen aufnimmt. Das schützt auch davor, in Zukunft durch eine KI ersetzt zu werden, wobei ich an das Horrorszenario, dass wir in Zukunft gar keine menschlichen Arbeitskräfte mehr brauchen, nicht glaube. Aber natürlich wird KI eine elementare Auswirkung darauf haben, wie in Zukunft in Unternehmen gearbeitet und auch geführt wird. Wir sprechen dabei von einem so genannten Artificial Leadership, und es könnte durchaus vorteilhafter für einen Mitarbeiter sein, von einer neutralen KI die Arbeitsanweisungen zu bekommen, als von einem voreingenommenen menschlichen Chef. Wir werden dies im Einzelfall und unter Hinzunahme der Perspektiven von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite betrachten müssen.

Gibt es für die Arbeit von Führungskräften Bereiche, wo KI speziell diese unterstützen kann? Und welche Art Entscheidung wird auch in Zukunft bevorzugt von Menschen getroffen?

Kollmann: Wie bereits angedeutet, kann und wird eine KI bestimmte Aufgaben sowohl von Arbeitnehmern als auch von Führungskräften übernehmen. Gerade die Entscheidungsfindung und -umsetzung ist eine wesentliche Aufgabe von Führungskräften, und diese Entscheidungen basieren in den meisten Fällen hoffentlich sowieso schon auf einer Auswertung und Analyse von Daten und Informationen. Dies wird dann noch durch die Erfahrung und manchmal auch ein wenig Bauchgefühl bei den Führungskräften zu einem Ergebnis führen, welches in Arbeitsanweisungen mündet. Die Frage wird diesbezüglich sein, wo in Zukunft die KI eine Führungskraft bei dieser Entscheidungsfindung unterstützen oder diese sogar übernehmen kann, weil so viele und gute Daten vorliegen, dass auch die KI zu einem optimalen Ergebnis kommt. Im Rahmen unserer Analyse zum Artificial Leadership haben wir festgestellt, dass die KI dies insbesondere bei operativen, aber bald auch strategischen Entscheidungen im etablierten Bestandsgeschäft tun kann, wenn die grundsätzliche Digitalisierung in diesem Bereich die dafür notwendigen Daten bereitstellen kann. Dagegen wird die digitale Kompetenz einer menschlichen Führungskraft insbesondere bei operativen und strategischen Entscheidungen im Innovationsgeschäft (noch) die Oberhand behalten. Es wird spannend sein zu sehen, wo und wie diese Mensch-Maschine-Kollaboration im Rahmen der Unternehmensführung Einzug halten wird und wo nicht. In unserem zugehörigen Buch zum Artificial Leadership haben wir dafür zahlreiche Beispiele recherchiert.

„Wo wird der Mensch die bessere Entscheidung treffen, und wo wird es die Maschine tun?“

Gibt es spezielle Funktionen oder Berufsbilder, in denen der Einsatz von KI besonders nützlich ist?

Kollmann: Interessant ist, dass der Einsatz von KI nicht nur auf bestimmte Berufsbilder beschränkt ist, sondern sich auch unabhängig von einem zugehörigen Qualifikations- oder Hierachieniveau zeigt. So kann eine KI schon heute juristische Vertragswerke besser analysieren als dafür ausgebildete Anwälte. Auch die Analyse von Hautkrebs anhand von Fotos zu Muttermalen kann durch eine KI besser erfolgen als von einem menschlichen Arzt. Und ob die Kassiererin in Zukunft noch gebraucht wird, wenn eine KI den Einkaufswagen eigenständig scannt, ist fraglich. Es geht daher eher um Funktionen oder Aufgabenbereiche, die wir uns ansehen müssen. Hier stellt sich dann die Frage, ob der Mensch oder die Maschine das zugehörige Problem besser löst. Und wenn es die Maschine ist, was passiert dann mit dem Menschen und seinem Aufgabengebiet? Dafür brauchen wir die richtigen Rahmenbedingungen und wirtschaftlichen sowie ethischen Leitplanken. Das gilt natürlich sowohl für vorhandene als auch zukünftige Berufsbilder, denn die KI wird auch vollkommen neue Jobs schaffen, die wir heute noch nicht kennen. Das wird auch eine besondere Herausforderung für das Recruiting.

KI wird auch in der Personalgewinnung erfolgreich eingesetzt, etwa in der Erstellung von Stellenanzeigen oder der Analyse von Bewerbungen. Ist das schon das Ende der Fahnenstange?

Kollmann: Ich glaube, dass wir in diesem Bereich erst am Anfang stehen und wir uns zudem erst noch finden müssen. Schließlich bringt es kaum etwas, wenn ein Bewerber die KI einsetzt, um eine perfekte Bewerbung abzugeben, die dann auf der anderen Seite von einer KI beim Arbeitgeber geprüft und für gut befunden wird. Schon heute sind diesbezüglich die Einsatzfelder der KI zu beobachten. So werden Stellenausschreibungen durch die KI entworfen, Bewerbungen per KI geprüft, Bewerbungsgespräche von einer KI geführt, und eine KI berechnet sogar, wann ein angestellter Mitarbeiter wahrscheinlich wieder gehen wird. Zudem durchforstet eine KI automatisch die Business-Plattformen nach geeigneten Kandidaten, ohne dass diese sich überhaupt aktiv bewerben müssen. Als Fazit kann man festhalten, dass die reine Schaltung einer Stellenanzeige der Vergangenheit angehört und vielmehr die proaktive Selektion mit einem zugehörigen Karriere-Management im Mittelpunkt stehen wird. Und dabei wird eine KI wesentliche Aufgaben übernehmen.

Welche Auswirkungen sehen Sie für das Kerngeschäft von HAPEKO – die Personalberatung?

Kollmann: Personalberatung wird sich in Zukunft noch stärker digitalisieren und auch unter dem Einfluss von KI stehen. Meine These lautet: Der Personalberater wird in Zukunft nicht nur die passenden Menschen für offene Stellen finden, sondern auch die passenden KI-Systeme kennen und für Aufgaben im Unternehmen empfehlen. Er wird somit zusammen mit dem suchenden Unternehmen entscheiden können, ob für die anfallende Aufgabe eher ein Mensch oder eine Maschine zum Einsatz kommen kann. Damit wird er vom Personalberater auch zu einem Systemberater. Und er wird sich nicht nur um Neueinstellungen kümmern, sondern auch um die Betreuung der Mitarbeiter nach der Einstellung, damit diese auch möglichst lange bleiben und die zugewiesenen Aufgaben bestmöglich erledigen, wobei dafür auch die individuelle Förderung von Weiterbildungsmaßnahmen eine entscheidende Rolle spielen wird. Zu diesem Zweck wird es zu einer Datenschnittstelle zwischen externer Personalberatung und interner Personalbetreuung kommen. Wer diese Schnittstelle zum Kunden besetzt, wird in Zukunft das Geschäft machen.

„Nicht jeder wird, kann und muss ein hipper Coder sein.“

Der Einsatz von künstlicher Intelligenz wird nicht von allen Menschen gleich freudig begrüßt, die Reaktionen reichen von Skepsis bis hin zu der Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren. Wie begegnen Sie solchen Sorgen?

Kollmann: Das kann ich gut verstehen, ist aber kein neues Phänomen, welches nur die KI betrifft. Schon bei der Erfindung der Schrift war man skeptisch, ebenso wie beim Buchdruck und der Dampfmaschine. Das Auto war zunächst ein Werk des Teufels, und dem Internet konnten einige am Anfang auch nichts abgewinnen. Jede Technologie, die zu Veränderungen führt, wird zunächst einmal kritisch betrachtet, weil man diese Veränderungen nicht will. Und: Ja, so wie bei der Digitalisierung auch, wird auch die KI dafür sorgen, dass wir bestimmte Berufe nicht mehr brauchen. Auf der anderen Seite hatten wir früher keine Content-, SEO- oder E-Commerce-Manager. Und vielleicht brauchen wir im Zeitalter der KI neue Berufe wie Data Quality-Manager, Deep Learning Engineer oder Algorithm Developer. Unsere Herausforderung wird jedoch sein, dass wir die betroffenen Menschen über unsere Aus- und Weiterbildungssysteme darauf vorbereiten und im Zweifel über die Sozialsysteme auffangen, wenn der Wechsel nicht mehr funktioniert. Nicht jeder wird, kann und muss ein hipper Coder sein, denn wir werden auch noch genug Bedarf haben, wo ein Mensch als Mensch gefragt sein wird.

Wie gelingt die Integration von künstlicher Intelligenz in Unternehmen, so dass diese dem Geschäft wie auch den Beschäftigten einen echten Mehrwert bietet?

Kollmann: Wir sind noch weit davon entfernt, dass wir alle Fragen in diesem Bereich beantworten können. Neben vielen rechtlichen, politischen und ethischen Fragen muss auch geklärt werden, wo und wie der homo oeconomicus durch eine machina economica wirklich sinnvoll ersetzt werden kann. Doch wird es dann auch ein menschliches Followership für ein maschinelles Leadership geben? Und wer übernimmt die Verantwortung für die Folgen einer Unterstützung bzw. Entscheidung und/oder Anweisung einer KI? Ich bin aber fest davon überzeugt, dass wir im Schulterschluss einer neuen Mensch-Maschine-Kollaboration die KI als festen Bestandteil im Management eines Unternehmens sehen werden und dies gerade im Bereich der Digitalisierung aufgrund der Daten am schnellsten sichtbar wird. Daher werden wir hier neben einem Digital Leadership durch einen Menschen auch ein Artificial Leadership durch eine Maschine sehen. Entscheidend wird die Transparenz für alle Beteiligten sein, und dementsprechend müssen wir offen mit diesen neuen Möglichkeiten umgehen. Nur dann wird es einen echten Mehrwert geben, und das gilt sowohl für die Entscheidungen einer Maschine als auch für die eines Menschen.

Über Prof. Dr. Tobias Kollmann:

Der Forscher, Berater und Autor gilt als einer der führenden Digitalexperten und ist Inhaber des Lehrstuhls für Digital Business und Digital Entrepreneurship an der Universität Duisburg-Essen. Als Leiter der netSTART-Academy bietet er ein Aus- und Weiterbildungssystem an, mit dem Fach- und Führungskräfte berufsbegleitend die notwendige Digitalkompetenz erwerben und sich beispielsweise zu einem Digital Manager oder Digital Leader ausbilden lassen können. Die Bücher von Prof. Dr. Tobias Kollmann gehören zu den Standardwerken und wissenschaftlichen Bestsellern im Bereich Digital Business und Digital Entrepreneurship an Hochschulen und in Unternehmen. Sein neuestes Buch, geschrieben gemeinsam mit seinen Söhnen, ist im Mai 2023 erschienen und trägt den Titel „Artificial Leadership: Die Revolution für die Unternehmensführung“.


Hinweis: In diesem Text wird überwiegend die männliche Form für personenbezogene Hauptwörter benutzt. Dies dient allein dem Lesefluss, es sind alle Geschlechter gemeint.


Mehr zum Thema:

Mehr über die netStart-Academy erfahren Sie im Bereich Unsere Partner.

Themen-Special von Handelsblatt online zu Künstlicher Intelligenz und ihren Auswirkungen auf Wissenschaft, Wirtschaft, Arbeitswelt und Gesellschaft:

https://www.handelsblatt.com/technik/ki-revolution/

ChatGPT im Recruiting (Artikel von haufe.de):

https://www.haufe.de/personal/hr-management/chatgpt-im-recruiting_80_600624.html

Artificial Demokratie: Welche Bundesministerien bereits KI-Tools für ihre Arbeit nutzen (Artikel von Handelsblatt online):

https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/kuenstliche-intelligenz-welche-ministerien-ki-bereits-einsetzen-in-erstaunlich-konkreten-projekten/29221386.html

HAPEKO ist an mehr als 20 Standorten in Deutschland vertreten:

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